Erdbeben-Serie in den Alpen: Experte hält große Katastrophe für möglich

Der Boden scheint zu brodeln: Das österreichische Institut für Wetter und Erdbebenforschung GeoSphere Austria in Wien hat in diesem Januar 500 Erdstöße registriert.

Zum Vergleich: Im gesamten vorigen Jahr (2023) wurden 1300 Beben in Österreich gezählt, auf den Monat bezogen, bedeutet das fast eine Verfünffachung der Ereignisse. Vor allem die Erdbebenschwärme rund um St. Johann sind für diese enorme Häufung verantwortlich.

(Titelbild: Der Bergsturz am Tschirgant in Tirol verschüttete nach einem Beben das Inntal und das untere Ötztal. Ein zweiter Bergsturz ging weiter östlich bei Haiming nieder)

Hier wurden allein über 350 Erdstöße von den Messsensoren erfasst, davon nahm die Bevölkerung 41 wahr. Am 23. Januar weckte früh um 4.50 Uhr der bislang stärkste in Erdstoß mit der Magnitude 3,9 auf der Richterskala die Menschen am Dreiländereck aus dem Schlaf.

Am Aschermittwoch gab es früh um 2.11 Uhr das vorerst letzte leichten Beben. Auch im Inntal wackelte die Erde in Hall, Innsbruck, Telfs und Imst, die Erdstöße zogen sich bis an die Zugspitze bei Ehrwald hin.

Selbst in Oberstdorf im Allgäu wackelte Anfang Januar der Boden. Die Stärke der Erdstöße ist bislang nicht besorgniserregend, ihre Häufigkeit aber ungewöhnlich. „Alles ist im Normalbereich“, erklärt Christine Freudenthaler, Seismologin von GeoSphere Austria. „Das sind Versetzungen im Untergrund, Spannungen in der Erdkruste, die sich statt in einem größeren Beben in vielen kleinen Stößen lösen.“

Die Ursache sei die Faltung der Alpen, die immer noch anhalte. Große Beben seien in den nördlichen Alpen aber nicht zu erwarten.

Das schwerste Beben seit Bestehen der systematischen Erdbebenüberwachung ereignete sich in dieser Zone am 7. Oktober 1930 bei Namlos im Bezirk Reutte (Tirol). Es hatte die Stärke 5,3 auf der Richterskala.

31 der 47 Kamine im Ort stürzten damals ein. Laut Dr. Joachim Wassermann, Leiter der Abteilung Seismologie des Bayerischen Geophysikalischen Observatoriums in Fürstenfeldbruck, müsse man nördlich des Inns maximal mit solchen Stößen (bis 5,5) auf der Richterskala rechnen.

Die nördlichen Alpen seien zu weit von der Zone im Norditalien entfernt, in der sich die adriatische Platte unter die europäische Kontinentalplatte schiebt und so die Alpen weiter faltet. Dort kommt es immer wieder zu schweren Erdbeben.

Am 6. Mai 1976 etwa sorgte im Friaul im Norden Italiens nahe der Grenze zu Slowenien und Österreich ein Erdbeben mit der Magnitude 6,5 für eine Katastrophe: 989 Menschen starben, 45000 wurden obdachlos.

Jasper Moernaut, Professor am Institut für Geologie Uni Innsbruck, hält Beben dieser Stärke auch in den nördlichen Alpen für jederzeit wieder möglich. Das Institut hatte bei der Erforschung von Schlammschichten in mehrerer Seen in Bayern und Tirol herausgefunden, dass Erdbeben in prähistorischer Zeit riesige Bergstürze zwischen Zugspitze und Ötztal verursachten.

Chronologische Liste von alpinen Erdbeben mit Magnitude auf Richterskala:

6200 v. Chr.: Erdbeben am Achensee, eins bis zwei Meter hoher Sprung im Gelände, 6,3

2100 v.Chr.: Erdbeben löst Bergsturz an Fernpass und Eibsee aus, 6,1-6,5

1000 v. Chr.: Erdbeben löst Bergsturz am Tschirgant aus, 240 Millionen Kubikmeter Gestein stürzen ins Tal. 18 Quadratkilometer verschüttet. 5,8-6,3

250 n. Chr. Erdbeben zerstört römische Stadt Augusta Raurica (Kaiseraugst) bei Basel, 5,5-6

  1. Januar 1117: In Verona stürzen Stadtmauer, Kirchen und Klöster stürzten Beben ein. Sogar die Michaelskirche in Bamberg wird beschädigt, 7
  2. Januar 1348: Friaul und in Kärnten, Beben löst Bergsturz des Dobratsch und eine Flutwelle aus. Schäden bis Passau, 5000 Tote, 6.8

  3. Okt. 1356: Großes Beben von Basel, Einsturz des Münsters 2000 Tote, größte Naturkatastrophe der Schweiz, 6,0-7,1

  4. Juli 1670: Beben in Hall/Tirol, Einsturz des Kirchturms, schwere Schäden. Viele Nachbeben bis 1671, mehrere Tote, 5,2

  5. Dez. 1689: Beben in Innsbruck, in einstürzenden Wirtshäusern kommen mehrere Menschen ums Leben. Schwere Schäden in Innsbruck und anderen Orten. Nachbeben über mehrere Monate hinweg, 4,8

  6. Okt. 1930: Beben in Namlos/Tirol. Schäden an Gebäuden. Tägliche Nachbeben bis zur Jahresmitte 1931, 5,3

  7. Mai 1976 Großes Erdbeben in Friaul, 989 Menschen sterben, 45 000 werden obdachlos, 6,5

Januar-Februar 2024: Erdbebenserie schreckt die Bewohner von St. Johann aus dem Schlaf, bis zu 3,9

Vor rund 4100 Jahren brachen oberhalb des Eibsees bei Garmisch-Partenkirchen 350 Millionen Tonnen Gestein aus der Zugspitze und der Riffelseewand, stürzten 1400 Meter in die Tiefe und schoben sich über den Eibsee bis an die gegenüberliegende Talwand, bis in 1260 Meter Höhe sind die Sedimente dort noch nachweisbar.

Ein unbeschreibliche Katastrophe, der Bergsturz hatte die Gewalt von 220 Hiroshima-Bomben, jegliches Leben wurde im Katastrophengebiet zermalmt. Gleichzeitig kam es zu einem Bergsturz am Fernpass, in dessen Schutt sich der Blind-, Weißen- und Mittersee bildeten.

Am Tschirgant und bei Haiming stürzten etwa 1100 Jahre später bei einem weiteren Bergsturz 240 Millionen Kubikmeter Fels in die Tiefe, der Schutt staute den Inn auf, die gigantische Steinlawine rollte bis ins Ötztal. 18 Quadratkilometer Land wurden verschüttet. Ein zweiter kleinerer Bergsturz stürzte nahe Haiming ins Inntal.

Bei der Ursachenforschung für diese gigantischen Bergstürze wurden die Geologen bei der Untersuchung von Sedimenten im Plansee bei Reutte und am Piburgersee im Ötztal fündig: „Es hatte zwei schwere Erdbeben gegeben, die diese Bergstürze auslösen“, so Moernaut.

Insgesamt fanden die Geologen die Spuren von zehn prähistorischen Erdbeben zwischen Ötztal und Zugspitze – mit Magnituden zwischen 5,5 und 6,5. Das Beben an Eibsee und Fernpass hatte eine Magnitude zwischen 6,1 und 6,5, das am Tschirgant und bei Haiming zwischen 5,8 und 6,3.

Man kann davon ausgehen, dass diese prähistorischen Katastrophen auch Menschenleben forderten. Damals siedelten die Angehörigen der Urnenfelder- und der frühen Hallstattkultur in Österreich, Norditalien und Bayern.

Auch am Achensee entdeckten die Forscher Spuren eines Bebens vor etwa 8300 Jahren. Moernaut: „Hier haben wir einen Geländesprung von eins bis zwei Metern in den Sedimenten entdeckt.“ Die Forscher gehen hier von einer Magnitude von 6,3 aus.

Ist die Zeit dieser großen Beben in den nördlichen Alpen vorbei? Moernaut: „Man muss auch in Zukunft damit rechnen.“ Ein schweres Beben wie im Friaul 1976 ist also auch in Tirol und in den Bayerischen Alpen jederzeit möglich.

Die Karte von GeoSphere Austria zeigt die Beben der Ostalpen der ersten Februarhälfte. Das rote Beben war am Donnerstag, die orangefarbenen ereigneten sich von Montag bis Mittwoch, die gelben in den elf Tagen zuvor. Ein Beben in Gloggnitz (großer Kreis) am 1. Februar hatte sogar die Stärke 4,5

Sogar in München würde ein starkes Beben für Gebäudeschäden sorgen

Ein neues Starkbeben könnte schwere Schäden verursachen. „Würde sich das Beben vom Achensee wiederholen, wäre München von einer Erdbebenintensität von sieben betroffen“, erklärt der Wissenschaftler.

Das heißt laut Mercalliskala: „Selbst in fahrenden Autos spürbar, das Stehen wird schwierig. Schäden an Möbeln, lose Mauersteine fallen herab. Gebäude in unzureichender Bauweise oder mit fehlerhaftem Bauentwurf werden stark beschädigt, leichte bis mittlere Schäden an normalen Gebäuden.“

Die Vorhersage solcher Beben ist laut Moernaut in den Alpen sehr schwer: „Erdbebenereignisse sind in dem sehr stark zerklüfteten Gebirge schwer vorherzusagen – im Gegensatz zu Anatolien, oder Kalifornien, wo es Zyklen gibt.“ Doch Moernaut weiß: „In 10000 Jahren gibt es etwa vier schwere Beben zwischen Ötztal und Zugspitze.“

Den Innsbrucker Forschern zufolge kommt es alle 1000 bis 2000 Jahre zu einem schweren Erdbeben mit einer Magnitude von über 6. Das letzte ist schon 3000 Jahre her. Ein neues schweres Beben wäre demnach also überfällig.

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